Rechtsanwalt Andreas Schuck
Beitragsanpassung

BGH, Urteil vom 25. Oktober 2023, UI VZR 233/22

Tatbestand:

1.Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung.

2.Der Kläger hält eine Krankenversicherung bei dem Beklagten. Dem Versicherungsvertrag liegen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (im Folgenden: AVB) zugrunde, die folgende Regelung enthalten: "§ 8b Beitragsanpassung, Teil I MB/KK
(1) Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z.B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt diese Gegenüberstellung für eine Beobachtungseinheit eines Tarifes eine Abweichung von mehr als dem gesetzlich oder tariflich festgelegten Vomhundertsatz, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. […]
(2) Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist.
(3) […]
Teil II S Tarifbedingungen
(1) […]
(2) Soweit im Tarif (Teil III) nichts anderes bestimmt ist, gilt als tariflicher Vomhundertsatz im Sinne von § 8b (1) Teil I für die Versicherungsleistungen 10 %, für die Sterbewahrscheinlichkeiten 5 %."
In Teil III der AVB heißt es auszugsweise wie folgt:
"E Anpassungsvorschriften
Beitragsanpassung (zu § 8b Teil I und II) Ergänzend zu § 8b Teil II können bei einer Veränderung der Versicherungsleistungen von mehr als 5 % alle Tarifbeiträge der betroffenen Beobachtungseinheit von der S Krankenversicherung a.G. überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden."

3.Der Beklagte teilte dem Kläger unter anderem eine Prämienerhöhung im Tarif K zum 1. Januar 2017 um  72,08 € mit. 

4. Soweit für die Revision noch von Interesse, hat der Kläger mit seiner Klage zuletzt die Rückzahlung der auf die genannte sowie weitere Erhöhungen entfallenden Prämienanteile in Höhe von 3.542 € nebst Zinsen sowie die Feststellung begehrt, dass der Beklagte die Nutzungen, die er aus den auf die Beitragserhöhungen gezahlten Prämienanteilen gezogen hat, herauszugeben und zu verzinsen hat. Außerdem hat er die Feststellung beantragt, dass die Beitragserhöhungen unwirksam sind und er nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet ist.

5. Das LG hat den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 3.315,68 € nebst Zinsen ab dem 22. Dezember 2020 verurteilt. Weiter hat es festgestellt, dass die genannte Beitragserhöhung nicht wirksam geworden ist und der Kläger ab dem 1. Januar 2017 nicht zur Tragung des Erhöhungsbetrages verpflichtet ist. Außerdem hat es festgestellt, dass der Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die er vom 1. Januar 2017 bis zum 21. Dezember 2020 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf diese Beitragserhöhung gezahlt hat. Das OLG hat die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten zurückgewiesen. 

6. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe:

  1. Die Revision hat Erfolg.
  2. I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass die genannte Erhöhung unwirksam ist, weil es an einer wirksamen Rechtsgrundlage hierfür fehlt. Da die Veränderung der Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen bei dieser Beitragsanpassung unter dem gesetzlichen Schwellenwert von 10 % liege, wäre diese nur dann wirksam, wenn sie auf der Grundlage von § 8b AVB in Verbindung mit der Tarifbedingung E in Teil III der AVB hätte erfolgen können. Nach den gesetzlichen Vorschriften sei eine Beitragsanpassung aber nur zulässig, wenn die Veränderung nicht nur vorübergehender Art sei. Unabhängig davon räume die Tarifbedingung E in Teil III der AVB bei einer Abweichung im Bereich zwischen "mehr als 5 %" und bis zu 10 % dem Versicherer ein Ermessen in Bezug auf die Überprüfung und Anpassung der Beiträge ein, was der geltenden gesetzlichen Regelung widerspreche und die Vertragspartner des Beklagten im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteilige. Aus der Unwirksamkeit dieser Erhöhung folge die Verpflichtung zur Rückzahlung der darauf gezahlten Beiträge sowie zur Herausgabe der hieraus im genannten Zeitraum gezogenen Nutzungen. 
  3. II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die Prämienerhöhung mit der Begründung für unwirksam gehalten, dass es für diese an einer wirksamen Prämienanpassungsklausel fehle. 
  4. 1. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom 22. Juni 2022 (IV ZR 253/20, VersR 2022, 1078) entschieden und im Einzelnen begründet hat, stehen die - hier in Teil I der zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen enthaltenen - Regelungen in § 8b MB/KK 2009 zu den Voraussetzungen einer Prämienanpassung einer Anwendung des niedrigeren Schwellenwertes für eine Prämienanpassung aus den Tarifbedingungen des Versicherers nicht entgegen. Zwar ist § 8b Abs. 2 MB/KK 2009, der inhaltlich § 8b Teil I Abs. 2 AVB entspricht, unwirksam, aber dies lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 - und ebenso von Absatz 1 der hier zugrundeliegenden Klausel - unberührt (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 2022 aaO Rn. 31 ff.). 
  5. 2. Der Senat hat außerdem mit Urteil vom 12. Juli 2023 (IV ZR 347/22, VersR 2023, 1222) entschieden und im Einzelnen begründet, dass eine Prämienanpassungsklausel, nach welcher der Versicherer die Beiträge bei einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als fünf Prozent überprüfen und anpassen kann, aber nicht muss, nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG abweicht und diesen auch nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2023 aaO Rn. 16, 20). 
  6. III. Das Berufungsurteil ist aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sich dieses - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht mit der Frage der formellen Rechtmäßigkeit dieser Prämienanpassung befasst hat. Das wird nachzuholen sein.