Rechtsanwalt Andreas Schuck

Mietwucher

BGH, Urteil vom 16. Februar 2023 - IX ZR 23/22

Tatbestand:

  1. Im Dezember 2015 erhob die e. GmbH i.L. gegen ihren ehemaligen Geschäftsführer B. (im Folgenden: Schuldner) Stufenklage auf Erteilung von Auskunft über näher bezeichnete Umstände des Zustandekommens eines Gewerberaummietvertrags sowie auf Feststellung, dass der Schuldner ihr die aus dem Mietvertrag entstehenden Verpflichtungen und Nachteile zu ersetzen habe. Der Schuldner soll als Geschäftsführer gezielt zulasten der e. GmbH i.L. einen Mietvertrag zu wucherischen Konditionen geschlossen und hierdurch materielle Zuwendungen von der Vermieterin erhalten haben. Im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens bezifferte die e. GmbH i.L. den ihr durch den Schuldner aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung resultierenden Schaden mit zuletzt 62.974,80 €.
  2. Am 7. April 2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der e. GmbH i.L. eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Am 8. Juni 2018 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und die Beklagte zur Insolvenzverwalterin bestellt. Der Kläger meldete am 19. Mai 2020 unter Bezugnahme auf das Aktenzeichen des erstinstanzlichen Verfahrens und mit der Bezeichnung "Ansprüche wegen Mietwuchers, Anfechtung mit Vertrag wegen arglistiger Täuschung" eine Forderung in Höhe von 62.974,80 € als eine von der Restschuldbefreiung nach § 302 Nr. 1 InsO ausgenommene Forderung nebst Zinsen und Kosten zur Tabelle an. Im Prüfungstermin widersprachen die Beklagte sowie der Schuldner der Feststellung der Forderung.
  3. Mit Vertrag vom 23. Nov. 2020 trat der Kläger die angemeldete Forderung an die Antragstellerin ab. Die Antragstellerin wurde in das nachträgliche Schlussverzeichnis vom 3. Dezember 2020 als Gläubigerin von Forderungen in Höhe von insgesamt 354.550,33 € aufgenommen.
  4. Mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2020 hat die Antragstellerin die Aufnahme des Rechtsstreits als neue Forderungsinhaberin und nunmehrige Klägerin erklärt und beantragt, die angemeldete Forderung nebst Zinsen und Kosten als vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung zur Insolvenztabelle festzustellen. Die Beklagte hat einer Fortführung des Rechtsstreits durch die Antragstellerin widersprochen.
  5. Das LG hat durch Zwischenurteil die Aufnahme des Verfahrens durch die Antragstellerin abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Antragstellerin hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Antragstellerin die Aufnahme des Rechtsstreits weiter.
Entscheidungsgründe:

  1. Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und zur Feststellung, dass die Antragstellerin den Rechtsstreit gegen die Beklagte wirksam als neue Klägerin aufgenommen hat.
  2. Das Berufungsgericht hat gemeint, die Unterbrechung des Rechtsstreits dauere an. Die Antragstellerin sei mangels Zustimmung der Beklagten gemäß § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht anstelle des Klägers in den Rechtsstreit eingetreten und könne das unterbrochene Verfahren deshalb nicht aufnehmen.
  3. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
  4. 1. Die Berufung der Antragstellerin war zulässig. Dies hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Nov. 2007 - VIII ZR 340/06, NJW 2008, 218 Rn. 8 mwN). Zwar überstieg der Wert des Beschwerdegegenstandes der Berufung - abweichend von der Auffassung der Vorinstanzen - bei zutreffender Anwendung des § 182 InsO 600 € nicht (vgl. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Gleichwohl war die Berufung statthaft, weil das LG keine Entscheidung über die Zulassung der Berufung getroffen hat (§ 511 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 ZPO), das Berufungsgericht diese Entscheidung jedoch hätte nachholen müssen und dies - wie der Senat in der Parallelsache mit Urteil vom 16. Feb. 2023 (IX ZR 21/22, zVb) näher begründet hat - als nachgeholt anzusehen ist.
  5. 2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf die Aufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits nicht anwendbar.
  6. a) Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der e. GmbH i.L. und über das Vermögen des Schuldners ist der Rechtsstreit gemäß § 240 Satz 1 ZPO zweifach (vgl. BAG, ZInsO 2022, 144, 145: "Doppelunterbrechung") unterbrochen worden. Gemäß § 240 Satz 1 ZPO kommt eine Aufnahme ausschließlich unter den Voraussetzungen der §§ 85, 86, § 180 Abs. 2 InsO in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 11. Aug. 2022 - IX ZR 78/21, WM 2022, 1786 Rn. 13). Dabei steht die Insolvenz der e. GmbH i.L. einer Aufnahme durch die Antragstellerin schon deshalb nicht gemäß § 85 InsO entgegen, weil der Prozess nicht (mehr) diese Insolvenzmasse betrifft. Die streitbefangene Forderung der e. GmbH i.L. gegen den Schuldner ist aufgrund der nach Insolvenzeröffnung über ihr Vermögen erfolgten Abtretung durch den Kläger an die Antragstellerin aus der Insolvenzmasse ausgeschieden.
  7. b) Rechtsfehlerhaft meint das Berufungsgericht, dass die Aufnahme gemäß § 180 Abs. 2 InsO durch die Antragstellerin deshalb ausgeschlossen sei, weil die Beklagte der Übernahme des Prozesses durch die Antragstellerin an Stelle des Klägers nicht zugestimmt hat.
  8. Die Frage, wer befugt ist, einen durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochenen Rechtsstreit aufzunehmen, richtet sich allein nach den insolvenzrechtlichen Bestimmungen. Wie der Senat mit Urteil vom 16. Feb. 2023 (IX ZR 21/22, zVb) entschieden hat, ist § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO hinsichtlich der Aufnahmebefugnis nicht anwendbar. Der Bestreitende kann nicht verhindern, dass derjenige, der nach erfolgtem Prüfungsverfahren (§§ 174 ff) als Insolvenzgläubiger mit einer von ihm angemeldeten Forderung in die Insolvenztabelle eingetragen ist, die Feststellung durch Klageerhebung (§ 180 Abs. 1 InsO) oder durch Aufnahme des unterbrochenen Rechtsstreits (§ 180 Abs. 2 InsO) betreibt. Auch dann, wenn ein Insolvenzgläubiger eine zur Tabelle angemeldete und bestrittene Forderung, über die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rechtsstreit anhängig war, nach der Anmeldung abtritt, kann der Zessionar den Rechtsstreit ohne Zustimmung des Prozessgegners aufnehmen, sofern die Rechtsnachfolge zwischen Zessionar, Prozessgegner und dem Zedenten unstreitig ist und gegenüber dem Insolvenzgericht nachgewiesen, in der Tabelle vermerkt und dem Prozessgegner angezeigt worden ist. Dies hat der Senat mit Urteil vom 16. Feb. 2023 (IX ZR 21/22, zVb) näher begründet.
  9. Der Zwischenstreit über die Aufnahme des Rechtsstreits gegen die Beklagte ist zur Endentscheidung reif. Die Aufnahme ist auf Grundlage der für den Senat bindenden (vgl. § 559 Abs. 2 ZPO) Feststellungen des Berufungsgerichts wirksam.
  10. 1. Die Feststellung ist durch Aufnahme des Rechtsstreits zwischen der e. GmbH i.L. und dem Schuldner zu betreiben. Die ursprünglich von der e. GmbH i.L. erhobene Klage dient der Verfolgung eines Schadensersatzanspruchs gegen den Schuldner. Bei diesem Anspruch handelt es sich um eine Insolvenzforderung im Sinne des § 87 InsO, so dass eine Fortsetzung des Rechtsstreits zur Weiterverfolgung des Anspruchs ausschließlich unter den Voraussetzungen der §§ 174 ff, 179, 180 Abs. 2 InsO in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 2021 - V ZR 181/19, NZI 2021, 669 Rn. 13; vom 11. August 2022 - IX ZR 78/21, WM 2022, 1786 Rn. 15).
  11. 2. Die Voraussetzungen für eine wirksame Aufnahme dieses Rechtsstreits durch die Antragstellerin gemäß § 180 Abs. 2 InsO sind erfüllt.
  12. a) Das Gericht hat als besondere Sachurteilsvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen, ob die Forderung in der geltend gemachten Form zur Insolvenztabelle angemeldet und geprüft worden ist. Darlegungs- und beweisbelastet ist die Antragstellerin als Insolvenzgläubigerin, da sie die Aufnahme des unterbrochenen Rechtsstreits gegen die Insolvenzverwalterin des Schuldners erstrebt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Feb. 2000 - II ZR 231/98, WM 2000, 891, 892; Uhlenbruck/Sinz, InsO, 15. Aufl., § 180 Rn. 25). Die vorgenannten Grundsätze gelten auch für die insolvenzrechtliche Erfassung der Rechtsnachfolge, wenn - wie im Streitfall - der Rechtsnachfolger einen noch von dem Rechtsvorgänger eingeleiteten Prozess als Feststellungsklage aufnehmen will.
  13. b) Gemessen hieran ist die Antragstellerin die zur Feststellungsklage gemäß § 179 Abs. 1, §§ 180, 181 InsO berechtigte Gläubigerin, denn sie ist in der Insolvenztabelle als Rechtsnachfolgerin erfasst worden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, zu denen auch die gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Bezug genommenen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils gehören (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 - II ZR 227/09, WM 2011, 1271 Rn. 19), ist die Insolvenztabelle hinsichtlich der streitbefangenen Forderung auf die Antragstellerin als Rechtsnachfolgerin umgeschrieben worden. Dies ist zwischen den Parteien auch unstreitig. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht allerdings die Umschreibung der Tabelle - und demgemäß auch die Erfassung der Antragstellerin als Rechtsnachfolgerin im Schlussverzeichnis, das die Tabelle fortschreibt und berichtigt (vgl. Schmidt/Jungmann, InsO, 20. Aufl., § 188 Rn. 2) - für unerheblich gehalten, weil die Umschreibung nach den zweitinstanzlichen Feststellungen nicht vor dem 3. Dez. 2020 und damit erst nach Eingang der Aufnahmeerklärung mit Schriftsatz vom 1. Dez. 2020 erfolgt ist. Zum einen erfolgt die Aufnahme nicht bereits mit Einreichung des Schriftsatzes bei Gericht, sondern gemäß § 250 ZPO erst durch Zustellung des Schriftsatzes, die hier am 20. März 2021 bewirkt wurde. Zum anderen genügt es, wenn - wie auch im Streitfall - die besonderen Sachurteilsvoraussetzungen des § 181 InsO jedenfalls bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz vorliegen (vgl. Schmidt/Jungmann, InsO, 20. Aufl., § 181 Rn. 1; MünchKomm-InsO/ Schumacher, 4. Aufl., § 181 Rn. 4 mwN).
  14. c) Die Anmeldung war auch wirksam. Die Wirksamkeit der Forderungsanmeldung ist im Rahmen der Frage zu prüfen, ob die Aufnahme des Prozesses wirksam ist. Dies gilt namentlich für die Frage, ob die Forderungsanmeldung den Anforderungen des § 174 InsO entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2020 - IX ZR 47/19, WM 2020, 1443 Rn. 11 f).
  15. aa) Eine wirksame Forderungsanmeldung gemäß § 174 Abs. 2 InsO erfordert die Darlegung eines Lebenssachverhalts, der in Verbindung mit einem - nicht notwendig ebenfalls vorzutragenden - Rechtssatz die geltend gemachte Forderung als begründet erscheinen lässt. Diese Anforderungen beziehen sich allein darauf, ob der Streitgegenstand des geltend gemachten Anspruchs hinreichend bestimmt ist. Hingegen ist es für eine wirksame Forderungsanmeldung nicht erforderlich, dass der Gläubiger einen Sachverhalt vorträgt, aus dem sich bei zutreffender rechtlicher Würdigung schlüssig die geltend gemachte Forderung ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2020, aaO Rn. 15 f).
  16. bb) Im Streitfall genügt die Anmeldung den vorgenannten Anforderungen. Bei der Anmeldung ist die streitbefangene Forderung als "Ansprüche wegen Mietwuchers, Anfechtung mit Vertrag wegen arglistiger Täuschung" bezeichnet und in Höhe von 62.974,80 € beziffert worden. Zur Erläuterung dieses Anspruchs ist auf den bei dem LG anhängigen Rechtsstreit verwiesen worden, in dem die dem Schuldner vorgeworfene Handlung - hier: die behauptete gezielte Schädigung durch den Abschluss eines nachteiligen Mietvertrags - schriftsätzlich präzisiert worden ist. Mit diesen Angaben sind Gegenstand und Grund des erhobenen Anspruchs hinreichend bezeichnet. Durch die Angabe des erstinstanzlichen Verfahrens, in dem der Zahlungsanspruch geltend gemacht worden ist, ist die Forderung unverwechselbar einem Lebenssachverhalt zugeordnet worden (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 25. Juni 2020 - IX ZR 47/19, WM 2020, 1443 Rn. 29 f). Der Umstand, dass der Kläger bei der Anmeldung das falsche Aktenzeichen des erstinstanzlichen Verfahrens mitgeteilt hat, berührt die Wirksamkeit der Anmeldung nicht. Es handelt sich hierbei lediglich um ein offensichtliches Schreibversehen und es bleibt erkennbar, welches Verfahren gemeint ist (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 25. Juni 2020, aaO Rn. 30 zur Unschädlichkeit selbst der fehlenden Angabe des Aktenzeichens).
  17. d) Die angemeldete Forderung stimmt mit dem Gegenstand des in erster Instanz anhängigen Klageverfahrens überein. Dies ist anhand der insolvenzrechtlichen Vorschriften zu beurteilen, die insoweit den allgemeinen Regeln der Zivilprozessordnung vorgehen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Aug. 2022 - IX ZR 78/21, WM 2022, 1786 Rn. 20 mwN). Dabei kommt es darauf an, ob die zur Tabelle angemeldete Forderung Gegenstand des unterbrochenen Rechtsstreits ist und der Rechtsstreit Fragen betrifft, die für die Feststellung der Forderung zur Tabelle erheblich sind (vgl. BGH, Urteil vom 11. Aug. 2022, aaO). Das ist hier der Fall.
  18. Die angefochtenen Entscheidungen sind daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Wirksamkeit der Aufnahme gegen die Beklagte ist auszusprechen. Das LG wird sodann über die - bereits erstinstanzlich gestellten, aber dort nicht beschiedenen - weiteren Anträge der Antragstellerin zu entscheiden haben. Dies betrifft insbesondere die ebenfalls erklärte Aufnahme gegenüber dem Schuldner und den Antrag, den Feststellungsstreit auf den Schuldner zu erweitern (vgl. § 184 Abs. 1 InsO).